Vortrag auf dem Kongreß für Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe in Köln 1985
Von Claus Haupt, Dipl. Psych.
Aus der Frauenklinik und Poliklinik Charlottenburg der Freien Universität Berlin
(Direktor: Prof. Dr. G. Kindermann)
Erfahrungen mit adjuvanter Psychotherapie bei mastektomierten Frauen
Im Folgenden möchte ich Ihnen einen kurzen Überblick darüber verschaffen, welche Erfahrungen ich mit psychotherapeutischer Gruppenarbeit bei brustamputierten Frauen an unserer Universitäts-
Frauenklinik gemacht habe.
Aufgrund der Kürze der Zeit kann es sich hierbei nur um einen beschreibenden Überblick handeln.
Zunächst ein Rückblick auf eine Ärztebesprechung vor 2 Jahren. Eine Kollegin berichtete, daß eine 40 jährige Patientin 7 Jahre nach Mamma Ablatio links mit einem verdächtigen Knoten in der rechten Brust und einem suspekten Befund in der Axilla sowie multiplen Knochen- und Organmetastasen wieder in unsere Klinik aufgenommen worden war.
In diesem Augenblick spürte ich eine tiefe Betroffenheit, Bitterkeit, Traurigkeit und vor allem Hilflosigkeit und Resignation dieser scheinbar ausweglosen Situation und Prognose der Patientin gegenüber. Auch über den Kollegen schien sich ein Netz gleichartiger Gefühle nieder zu senken. Und ich denke viele von Ihnen werden ähnliche Empfindungen in vergleichbaren Begegnungen mit Ihren Patientinnen kennen.
Für unsere Patientinnen stehen zu einem solchen Zeitpunkt Angst, Schmerz, Leid, tiefe Verzweiflung, daraus resultierend auch oft eine totale Orientierungslosigkeit und Isolationsgefühle im Vordergrund. Und dann stehen wir ihnen oft noch mit unserer, aus den oben beschriebenen Empfindungen herrührenden Befangenheit gegenüber.
Auf Grund dieser Erfahrung tauchte dann für mich die Frage auf: gibt es sinnvolle, spezifische psychotherapeutische Ansätze im Rahmen der Krebsbehandlung?
Ein entsprechendes Vorgehen sollte also bei den betroffenen Frauen positive Tendenzen und Kräfte wieder fördern. Den Willen zu leben wiedererwecken. Lähmung und Verzweiflung sollten in ein Entfalten der körpereigenen Abwehrkräfte und Selbstheilungskräfte münden. Isolation wieder zur Integration (z.B. in Familie, Beruf, Sport) führen.
Insgesamt ging es mir also darum, eine bessere Verarbeitung der psychischen (damit auch der somatischen) Folgen der Krebserkrankung in die Wege zu leiten. Darüberhinaus bestand natürlich die Hoffnung, auf psychosomatischem Wege, ausgedehntere Phasen von Rezidivfreiheit bzw. eventuell Remissionen zu ermöglichen. Die Arbeitsberichte, welche von Le Shan, sowie Simonton und Simonton und Craighton in ihren Büchern niedergelegt sind, waren ein erster Wegweiser. Eine Arbeitsgruppe um Ehrhard Beitel an der Bochumer Ruhr Universität hat sich die Mühe gemacht, die Vorgehehensweise von Simonton in ein Gruppentrainingsprogramm umzustrukturieren.
Vorn Grundgedanken her habe ich dieses Konzept übernommen. Die Arbeit mit den Patientinnen zeigte sehr schnell, daß sie über die vorgegebenen Übungen hinaus immer wieder zusätzliche Zeit zum Aufarbeiten aktueller Fragen oder Konflikte benötigten. So daß ich meine, daß der Kursablauf auf mindestens 15, besser 20 Wochen mit wöchentlichen Treffen von 2 Stunden Dauer konzipiert werden muß.
Der durchgeführte Kurs ist zu verstehen als ein Gesundheitstraining.
Die wesentlichen Elemente sind:
Entspannungsübungen (bei uns Autogenes Training)
Vorstellungsübungen
Übungen zur Überwindung von Kränkung und Feindseligkeit
Mobilisierung eines inneren Ratgebers
Rückschau auf den bisherigen Lebensweg
Auseinandersetzung mit dem Krankheitsgewinn
Körperliches Training
Gesunde Ernährung
sowie eine bewußte Zielfindung und Lebensplanung.
All diese Arbeitsschritte werden den Patientinnen, nach einer gemeinsamen Reflektion des jeweiligen Themas, eingebunden in Entspannungs- Wahrnehmungs- und Vorstellungsübungen, vorgegeben. Die Frauen bekommen alle die Texte für ihre Imaginationsübungen auf Kassetten, teilweise mit entspannender Musik untermalt, mit nach Hause.
Die Arbeit mit den Frauen hat gezeigt, daß der wesentliche Aspekt ist, wieder ins Leben zu finden, besser noch ihren jeweils eigenen Lebensweg zu entdecken. Es ist also m. E. nicht wie Le Shan es noch im Titel seines Buches formuliert, eine Psychotherapie gegen den Krebs“, sondern eine Arbeit für das Leben.
Wobei, und das soll hier nicht ausgeklammert bleiben, es manchmal darum geht, eine bessere (menschlichere) Form des Sterbens zu ermöglichen.
Schon die ersten Schritte des Programms, nämlich die Entspannungsübungen, führen die Patientinnen dazu, sich in ihrer Familie, ihrem täglichen Arbeitsrhythmus, einen Raum zu verschaffen, ~ sich Zeit nur für sich selbst zu nehmen.
Es fällt allen anfangs außerordentlich schwer.
Nachdem die Frauen sich dann im Laufe der Wochen die Möglichkeit erarbeitet haben, zu einer oft seit Jahren entbehrten inneren Ruhe zu finden und parallel dazu erste Erfahrungen machen, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse zumindest erst einmal wahrzunehmen, kommt es in den folgenden Sitzungen zu einer Auseinandersetzung mit so wichtigen Fragen, wie nach der Möglichkeit, sich in ihrem Leben Freude zu verschaffen, wie sie wieder Lebensenergie spüren können, welche Lebensziele sie verwirklichen wollen und wie ihr Lebensplan aussieht.
Für die meisten Frauen sind dies neue, bzw. sehr lange nicht mehr gestellte Fragen. Z.B. bei der Frage nach 40 Dingen die ihnen im Leben Freude machen, schauen sie sich zunächst ratlos fragend an. Es kommen kaum einmal mehr als 10 Dinge.
Im weiteren Verlauf stellen sich hier Veränderungen ein. Sie beginnen sich zu fragen, was für sie der Sinn ihres Lebens ist. Sie schauen sich in diesem Zusammenhang an, welchen Stellenwert die Krebserkrankung in ihrem Leben hat, sehen dabei auch in unterschiedlichem Maße, welche positiven Seiten die Krankheit für sie hat, wie Schonung, Entlastung von Arbeit und Verantwortung,
zu sich zu finden, Aufmerksamkeit und Pflege zu bekommen. Mir persönlich ist es bei dieser Arbeit sehr wichtig, den Frauen ihren Raum zu lassen, sich aus dem gesamten Gesundheitsprogramm auf ihre Art und Weise das herauszusuchen, was sie gerade an sich heranlassen, bzw. entwickeln wollen und können, womit sie sich am besten fühlen.
Es zeigt sich, daß die Gruppenteilnehmerinnen immer ganz unterschiedliche Schwerpunkte im Verlauf der 20 Wochen unserer gemeinsamen Arbeit setzen. Die einen verfolgen ganz intensiv die Arbeit mit dem Autogenen Training, andere wiederum nehmen sich immer wieder bestimmte Kassetten vor, je nach ihren Vorlieben oder gerade aktuellen Bedürfnissen oder Notwendigkeiten. Schon dies ist für die sonst für ihre eigenen Bedürfnisse so unsensiblen Brustkrebspatientinnen ein ziemlicher Fortschritt.
Kurz noch ein Hinweis auf 3 Phasen, die in den Gruppen immer wieder durchlaufen werden.
Die erste Phase ist geprägt von Skepsis und Gedanken wie: mal sehen, was die in der Frauenklinik uns da anbieten.
In der zweiten Phase kommt Interesse mit mehr oder weniger Begeisterung auf.
In der dritten Phase wird parallel zur positiven Entwicklung der Frauen die Enttäuschung über die Begrenzung des Kurses und der Wunsch nach Vertiefung laut.
Bei 2 Gruppen führte es dazu, daß sich die Frauen zur weiteren Arbeit außerhalb der Klinik gemeinsam um einen Therapeuten bemühten. Auch eine Reihe von Einzeltherapien haben sich angeschlossen. Wegen der zeitlichen Begrenzung kann ich leider hier nicht auf meine Vorstellungen eingehen, wie das Programm in einer Praxis oder Klinik integriert werden kann. Bei Bedarf stehe ich für diesbezügliche Fragen gerne zur Verfügung.
Lassen Sie mich nun zusammenfassen, was nach Aussagen der Patientinnen die wichtigsten Auswirkungen ihrer Auseinandersetzung mit dieser Arbeit sind. Eine deutliche Verbesserung, in die Ruhe zu kommen, zu entspannen, oftmals sind Ein- bzw. Durchschlafstörungen behoben. Sie kommen zu einer größeren Gelassenheit ( gegenüber der medizinischen Therapie, aber auch im täglichen Leben ).
Ganz häufig haben sie die Position verlassen können: ich bin schuld an meiner Erkrankung, ich bin eine Last für alle. Eine Reintegration ist oft die Folge. Überhaupt erleben sie häufig in ihrer Partnerbeziehung und auch zu ihren Kindern ganz neue positive Dimensionen.
Viele kommen zu der Erkenntnis: mir geht es gut, ich habe Hoffnung. Sie haben gelernt, Dinge, Situationen und vor allem sich selbst bewußt wahrzunehmen und zu genießen.
Darüber hinaus haben alle Frauen, wenn auch in sehr unterschiedlichem Ausmaß, sich einen ganz neuen Lebensraum erobert.
Nicht zu vergessen, die Entscheidung von vielen, sich weiter mit sich und ihrem Leben in Einzeltherapien bzw. zusammen mit der Gruppe, auseinanderzusetzen.
Abschließend möchte ich noch einmal betonen, daß es mein Anliegen ist, aufzuzeigen, wie über eine Herangehensweise mit psychotherapeutischen Mitteln, die Krebserkrankung n i c h t gleichbedeutend bleiben muß mit der Konfrontation mit dem Tod, sondern zum Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit dem Leben werden kann.